Die Anforderungen an unser Leben unterliegen, so scheint es, immer schneller werdenden Veränderungsprozessen.
Für Kinder ist das etwas ganz normales. Schon die Geburt ist eine massive Veränderung. Bedürfnisse wie Nähe, Zugehörigkeit, Schutz oder Nahrung werden nach der Geburt auf einmal nicht mehr unmittelbar befriedigt. Aber diese Bedürfnisse werden, im Normalfall, schnell erfüllt. Sich einfach bemerktbar machen, vielleicht durch Jammern oder Schreien, hilft meist. Irgendwie magisch – es besteht noch keine so richtige Unterscheidung zwichen Baby und Umwelt. Dann entdeckt das Kind sich selbst, noch mehr Bedürfnisse, und merkt, daß es sich um manche Dinge selber kümmern muss und die Welt nicht mehr ganz so magisch ist. Danach kommt eine Phase, in der das Kind merkt, daß die Mitmenschen auch ganz hilfreich sein können, z.B. die Familie und bei der nächsten Veränderung wird dann alles und alle in Frage gestellt.
Für Erwachsene ändern sich die Anforderungen immer schneller. Wenn früher z.B. noch das Arbeitsleben bei einem Arbeitgeber verbracht wurde, ist das heute schon die große Ausnahme. Diese Anforderungen sind nicht nur Anforderungen an das Verhalten oder Anpassen an die Welt, sondern Anforderungen, seine eigene Sicht auf die Welt zu verändern.
Es geht dabei darum, wie wir unseren Erfahrungen und Lebensumständen Bedeutung verleihen, sei es rational, morialisch und auf gesesllschaftlicher Ebene. Hier geht darum, wie wir mit mit Anforderungen aus verschiedenen Richtungen (wie z.B. Familie, Arbeit, soziales Umfeld) und mit Unsicherheit umgehen. Dabei hilft es nicht unbedingt, immer mehr Infomationen zu sammeln, sondern wir müssen Dinge neu einordnen und von aussen betrachten lernen. Wenn wir Dinge wie unsere persönlichen Eigenschaften, Verhaltensweisen, Gefühle oder auch Beziehungsthemen von aussen betrachten können, dann sind wir nicht mehr das Gefühl, oder wir sind nicht mehr die Beziehung, oder wir sind nicht mehr diese Verhaltensweisen. Wir erkennen, daß das bestimmte Seiten von uns sind, aber nicht unser ganzes Wesen. Das ist schon mal ein großer Schritt. Ich kann dann Verantwortung für diese Dinge übernehmen und veschiedene Sichtweisen Einnehmen und mich verändern!
Zu diesen Entwicklungen im menschlichen Bewusstsein gibt es mittlerweile viele wisschenschaftliche Erkenntnisse, die alle ähnliche Entwicklungsstufen im Leben eines Menschen aufzeigen. Diese Entwicklungsstufen bauen aufeinander auf, müssen aber nicht zwingend alle erreicht werden.
Prof. Robert Kegan unterscheidet folgende Stufen:
Erste Stufe: Hier bewegen sich meist kleine Kinder. Die Welt muss erst noch kennengelernt werden und vieles erscheint noch magisch und mystisch (s.o.)
Zweite Stufe: Hier bewegen sich Kinder im Alter von ca. sieben bis zehn Jahre. Die Welt wird komplexer. Die Bedürfnisse und Interssen anderer Menschen sind grundsätzlich nur wichtig, wenn sie irgendwie mit meinen Bedürfnissen und Interessen zu tun haben. Menschen sind hier noch weitesgehend selbstbezogen und sehen andere entweder als Unterstützer oder als Hindernisse bei der Erfüllung eigener Bedürfnisse und Wünsche.
Dritte Stufe: Hier bewegen sich Heranwachsende und viele Erwachsene. Menschen können abstrakt denken, können ihre und die Handlungen von anderen reflektieren und können sich für Dinge und Menschen einsetzen, ohne sich nur an ihren eigenen Bedürfnissen zu orientieren. Ihr Selbstwert ist von Anderen abhänigig. Das wird dann schwierig, wenn Ansprüche von verschiedenen Seiten an den Menschen gestellt werden – z.b. Arbeit-Familie, Mitarbeiter-Vorgesetze, usw.. Dann fühlen sich Menschen auf dieser Stufe hin- und hergerissen zwischen den meist unterschiedlichen Anforderungen.
Vierte Stufe: Hier bewegen sich schon nicht mehr so viele Menschen. Auf dieser Stufe haben Menschen eine Sichtweise entwickelt, die sich ausserhalb der Beziehungen zu Anderen befindet. Sie können nun die verschiedenen Sichtweisen, die aus den Ansprüchen von Anderen entstehen, gegeneinander abwägen und dann ihren eigenen Standpunkt vertreten. Der eigene Standpunkt ist klar und kann gut vertreten werden. Menschen werden nicht mehr zerissen zwischen Anforderungen aus unterschiedlichen Richtungen.
Fünfte Stufe: Hier bewegen sich nur wenige Menschen. Auf dieser Stufe können sie ihre eigenen Standpunkte in Frage stellen und sehen die Welt nicht mehr als Entweder-Oder sondern mehr als Sowohl-als auch! Unterschiede werden als Chancen zur Weiterentwicklung erkannt. Die Perspektive richtet sich nicht mehr nur auf das eigene Umfeld, sondern bezieht auch weitere Kreise wie die Menschheit an sich und die Umwelt der ganzen Erde mit ein.
Diese Schilderung ist an dieser Stelle nur sehr grob und soll Sie dazu anregen, sich selbst mit Entwicklungsthemen auseinanderzusetzen. Mit diesen Entwicklungsstufen sollen Menschen nicht in Schubladen gesteckt werden. Es gibt Überlappungen der Stufen und auch verschiedene Aspekte in der Entwicklung wie z.B. moralische Entwicklung, soziale Entwicklung, Ich-Entwicklung usw..
Diese Theorien helfen, ein Verständnis für die verschiednenen Verhaltensweisen von Menschen zu entwickeln und eben gerade die Menschen nicht auf ewig in ihren Schubladen zu lassen. Menschen können und werden sich entwickeln. Mannchmal passiert das durch wichtige Ereignisse im Leben und deren Reflektion oder durch Anstoß von aussen.
Wer sich damit weiter beschäftigen will, empfehle ich die Werke von Robert Kegan, Ken Wilber, Don Edward Beck (Spiral Dynamics) oder Susanne Cook-Greuter (Spirale der Entwicklung). Dies ist nur eine kleine Auswahl von Autoren. Eine gute erste Übersicht in Tabellenform gibt es in einem schon etwa älteren Buch von Ken Wilber, Integrale Psychologie.